Ein historischer oder hysterischer Tag? Der Brexit ist entschieden, die Nachrichten und die sozialen Medien überschlagen sich. Am größten ist der Ärger bei den 16-24jährigen: die 16- und 17jährigen durften nicht mitwählen, angeblich aus Kostengründen, dabei betrifft es ihre Zukunft ganz erheblich. Und bei den 18-24jährigen lag das Wahlergebnis umgekehrt, die klare Mehrheit wollte in der EU bleiben. Oje, die ältere Generation hat für die junge entschieden, und die sind zu Recht böse, denn sie wird es betreffen.

Erstaunlicherweise sieht man selbst in diesem Moment etwas von dem typischen Britischen Humor. Medieval Reactions zeigt einen älteren, überfütterten Mönch, der mit einem verzückten Grinsen ein Glas Wein schlürft, der Untertitel: Wenn Du für den Brexit gestimmt hast, aber Du stirbst sowieso bald, also ist es nicht Dein Problem. Ein Tweet zeigt Thomas, die Lokomotive, wie er im Tunnel steht und eingemauert wird. Ein anderer ein 20-Pence-Stück, das als neues Pfund vorgestellt wird.

Aber auch die Deutschen zeigen Humor: ein Vater-und-Sohn-Comic, wo der Bub mit strahlendem Gesicht ein Papier schwenkt, „Ich habe eine Eins in Englisch“, und die Antwort vom Papa: Brauchste nicht mehr.

Galgenhumor. Denn heute, am zweiten Tag nach der Wahl, sind die Nachrichten voll von negativen Auswirkungen. Bisher hatten beide Seiten etwa gleich viel Medien-Aufmerksamkeit bekommen, im Moment sieht aber alles sehr schwarz aus. Kulturelle Minderheiten wie die Gemeinschaft der Sikhs äußern sich besorgt über Anti-Immigranten-Parolen, Rechtspopulisten in Frankreich und in den Niederlanden reiben sich die Hände, die EU will Groß-Britanniens Austrittsprozedur beschleunigen, die Finanzmärkte sind im tiefsten Tief seit über vierzig Jahren. Die Queen Mary, das größte Kreuzfahrtschiff überhaupt, wird von Southampton abgezogen und soll in Hamburg docken; eine der größten Banken Londons wird nach Frankfurt übersiedeln. Hauspreise sollen schockartig sinken, wird gesagt, die Börse verzweifelt; wer keine Euros für den Urlaub umgetauscht hat, bekommt jetzt nur noch halb so viele wie noch vor zwei Tagen. Calais will, dass das „Dschungel“-Camp nach Groß-Britannien verlegt wird – das genaue Gegenteil dessen, was die Flüchtlings-Xenophoben sich erhofft hatten.

Den Tory-Politikern, die für den Austritt Englands geworben haben, wird jetzt vorgeworfen, dass sie es nur getan haben, weil sie selbst Premierminister werden wollen, denn Cameron hat, wie vorauszusehen war, abgedankt. Donald Trump strahlt über die Entscheidung der Briten, was in sich selbst schon ein Kommentar bedeutet. Schottland hat ein zweites Referendum angekündigt, unter diesen Umständen werden sie sich wahrscheinlich für die Unabhängigkeit entscheiden. Nicht mehr viel „groß“ in Groß-Britannien … Die Kette der negativen Nachrichten wird immer länger, diejenigen, die am lautesten für den Brexit geschrien haben, sind erstaunlich leise geworden. Und das Interessanteste ist, dass eine Petition, die Wahl wiederholen zu lassen, plötzlich schon über eine Millionen Unterschriften gewonnen hat und damit im Parlament diskutiert werden muss, nur einen Tag nach der Verkündigung des Ergebnisses. Pragmatiker geben diesem Umstand nicht viel Gewicht, doch ist es ein Stimmungsbarometer.

Ein kleiner, ganz kleiner Teil in meinem tiefsten Inneren reagiert mit hämischem Schnauben, mit der Schadenfreude, für die es angeblich in anderen Sprachen keine Vokabel gibt. Ich weiß, es hilft weder mir noch den Briten, aber ich kann nicht anders. Dass so viele Briten so uninformiert, so kurzsichtig sein können, hätte ich nicht gedacht, tatsächlich 52%. Es ist eine Erinnerung daran, warum Volksentscheide so selten durchgeführt werden, die Gefahr ist einfach zu groß, dass die Uninformierten schwerwiegende Entscheidungen treffen. Einige rufen dazu auf, nun doch bitte zusammenzuhalten, auch wenn man dagegen gestimmt hatte, um gemeinsam die notwendigen Schritte einzuleiten, die wenigstens eine Art Sicherheit versprechen. Dagegen sträube ich mich. Im Moment will ich einfach nur, dass die Brexit-Befürworter ihre dumme Entscheidung bereuen, und es sieht ganz danach aus, was meinem grimmigen Zorn etwas Genugtuung verschafft, bevor ich mir um meinen Beruf und meinen Verbleib in England Sorgen machen muss.